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  Transformation II

Fotoinstallation in Köln 

vom 7.7.2017 bis zum 22.7.2017

Ein Ateliergespräch mit der Künstlerin Suria Kassimi am Sonntag, 11. Juni 2017, in Recklinghausen

 

Frau Suria Kassimi (SK) und Marie-Louise Hirschmüller (MLH) 

 

 

 

SK

Schön Sie heute hier bei mir im Atelier zu haben.

 

MLH

Das freut mich auch außerordentlich, ein Atelierbesuch ist eine der wundervollsten Möglichkeiten einem Künstler sehr nahe zu kommen und sein Oevre besser zu verstehen und ich bedanke mich ganz herzlich für die Zeit, die Sie mir jetzt gerade schenken.

 

SK

Das hätten wir beide wohl nie gedacht, dass wir auf diese Weise einen Sonntagnachmittag gemeinsam verbringen.

 

MLH

Ich kenne Sie als Bildende Künstlerin, Kunsthistorikerin M.A. und Kunsttherapeutin und hatte beim Besuch Ihrer Ausstellung mit dem Titel Transformation im vergangenen Jahr in der Zeche Scherlebeck einen großen Eindruck von Ihrem künstlerischen Schaffen sowohl in technischer wie inhaltlicher Sicht.

 

SK

Lassen Sie uns erst einmal durch mein Atelier gehen.

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MLH 

Absolut beseelt von unserem Atelierrundgang versuche ich jetzt Sie und ihre Arbeiten in der aktuellen Gruppenausstellung „Das Haus“, Am St. Pantaleonsberg 12 in Köln den interessierten Kunstliebhabern  ans Herz zu legen.

 

SK

Sie sprachen vorhin von einem Erweckungserlebnis als Sie im Atelier Ihnen bekannte Arbeiten aus der Ausstellung auf Zeche Scherlebeck sahen?

 

MLH

Ja, das war am Sonntag, 13. März 2016. An diesem Tag war ich Ihrer Ausstellung in der Maschinenhalle der Zeche Scherlebeck in Herten. Sie hatten dort Ihre Arbeiten, von der Technik den hier gezeigten entsprechend, in einem sehr hohen, durchfensterten Raum präsentiert. Es handelte sich um eine Fotoinstallation. Präsentiert wurde eine der Raumgröße entsprechende Anzahl von Fotoarbeiten auf Plexiglasplatten, quadratisch im Format von 100 x 100 cm. Sie hingen frei im Raum. Die Hängung war derart, dass die Ausstellungsbesucher um die Werke herumgehen konnten und somit eine direkte Interaktion entstand. Der Betrachter wurde selbst Teil der Arbeit und von anderen auch so wahrgenommen. Ebenso der Raum, da dieser ebenfalls durch die Arbeiten hindurch gesehen werden konnte.

 

Es war unglaublich, permanent Transformation, Umformung, Umwandlung, Verwandlung, Veränderung.  Für mich war es noch weit mehr. Eine Erfahrung der eigenen Wahrnehmung. Ich war sehr lange in dem Ausstellungsraum und konnte verfolgen wie sich durch den Verlauf des Sonnenstands, dem Spiel der Wolken und durch andere Besucher die Präsentation der Werke fortwährend veränderte.  Ja, um zum Erweckungserlebnis zu kommen. Mir wurde deutlich bewusst, dass ich meiner eigenen Wahrnehmung nicht vertrauen kann. Erschien mir durch die Sonneneinstrahlung oder durch die Interaktion mit einem besonders interessanten Ausstellungsbesucher eben  noch die eine Arbeit als speziell beeindruckend, wechselte dieser Eindruck auf eine andere Arbeit über, die ich bislang nicht beachtet hatte. Meine Wahrnehmung war ständig gefordert erneut zu bewerten und abzugleichen, es war faszinierend. Hier lässt sich der Bogen zu Ihrer aktuellen Ausstellung schlagen.

 

SK

Ja, auch hier zeige ich diese Art der Fotoinstallation jedoch mit anderen ortsspezifischen Motiven In dieser Präsentation sind es vier fotografische Arbeiten auf Plexiglas.

 

MLH

Die Arbeiten, die ich in Herten gesehen habe, hatten architektonische Motive von ihrer Reise durch Israel auf den Spuren Ihrer Vorfahren. Die Motive in dieser Ausstellung zeigen ebenfalls architektonische Elemente, wie es auch der Ausstellungskonzeption entspricht. Hier haben wir durch die Präsentation im Eingangsbereich ebenfalls die Möglichkeit einer Interaktion mit der sich im Tagesablauf verändernden Lichtsituation. Was haben Sie hier als Motive gewählt? Handelt es sich wieder darum das Besondere von Architekturfragmenten hervorzuheben, dem Betrachter eine ihnen innewohnende Energie zu vermitteln?

 

SK

Ja, ich habe Motive gewählt, die ich hier vor Ort gesehen habe und die mich besonders angesprochen haben. 

 

MLH

Sagen Sie uns doch bitte was Sie konkret fotografiert haben. Durch die Verbindung von Figuration und Abstraktem ist Einiges nicht sofort ersichtlich.

 

SK

Eine Arbeit zeigt die Situation in einem Flur, eine andere zeigt eine Treppe im Außenbereich, die dritte den Blick aus einem Flur nach draußen und die vierte ebenfalls einen Ausblick vom Innen- in den Außenbereich. 

 

MLH 

Was haben diese Motive inhaltlich gemeinsam?

 

SK

Ich würde sagen, es ist der zugrundeliegende Gedanke der Verbindung, es handelt sich um Verbindungswege, ein Flur verbindet verschiedene Gebäudebereiche, ein Blick nach draußen verbindet den Innen- mit dem Außenraum und eine Treppe verbindet verschiedene Ebenen. Wobei mich diese Treppe als Objekt im Raum in ihrer Gestaltung und der ihr innewohnenden aufsteigenden Dynamik auch formal sehr interessiert.

 

MLH

Ja, das ist ein sehr schöner Gedanke. Das Thema Verbindung ist ja auch hier in der Gemeinde ein großes Thema. So gilt es doch mit den hier lebenden Flüchtlingen eine tragende Verbindung aufzubauen und ebenso ist es diesen wiederum sehr wichtig in Verbindung mit ihren Herkunftsländern zu bleiben. Hierzu passt auch der Titel Ihrer Arbeit, diese Menschen durchlaufen gerade einen tiefgreifenden Transformationsprozeß.

 

SK

Ja, fortwährend, denn je länger sie hier sind und je mehr sie an Erfahrung sammeln, desto weiter und intensiver wird sich diese Transformation fortsetzen. Dieser jetzt unglaublich schnell zu durchlaufende Prozess in einem komplett neuen Umfeld wird durch christliches Engagement ermöglicht und begleitet. Wir Künstler profitieren davon und erhalten eine Ausstellung in diesem besonderen Umfeld. Auch was die Menschen mitbringen erfährt durch neue Bewertung eine Veränderung. Mir selbst ist es wichtig mich fortwährend zu verändern. Veränderung bedeutet für mich eine Erweiterung des Horizonts und einen großen Gewinn. Nach dem Motto, panta rhei, alles fließt, wie auch in unserer Gesellschaft alles in Fluss ist. Oder betrachten Sie diesen Ort, er erlebt auch gerade eine Transformation. Räumlichkeiten des ehemaligen Benediktinerklosters werden zu Wohnungen für Familien…..hier  gibt es jetzt auch wieder Gemeinschaftsräume, einen Sportraum….Orte der Begegnung und spirituelle Räume, die der Reflexion und inneren Einkehr dienen können. Aus der Klostergemeinschaft wird eine Gemeinschaft von Menschen unterschiedlicher Herkunft.  Kulturelle Werte transformieren sich…es entsteht etwas Neues und Eigenes…der Prozess ist im Gang und das Ergebnis dieser Transformation weitestgehend offen.

MLH

Kommen wir zur Gestaltung. Weshalb das hohe Maß an Abstraktion? Ihre Installation wirkt ästhetisch streng durchkomponiert, warum sind die Fotografien so verwischt.

 

SK

Heute kann jeder ein perfektes Foto machen. Die technische Entwicklung macht dies möglich und das interessiert mich nicht. Früher zeigten sich die Fertigkeit und die Kunst eines Fotografen an einem technisch perfekten Ergebnis. Die Methodik der Abstraktion ist eine weitere Möglichkeit meine Subjektivität und Stimmung auszudrücken, eine subjektive Zuspitzung also. Sie sehen das doch auch in meiner Malerei. Technisch perfekt beherrsche ich die figurative Darstellung. Das ist mir zu wenig. Da kommt dann die Abstraktion zum Tragen. Kritzel Kratzel das kann jeder, wie viele sagen. Das ist aber nicht so, es ist jeweils etwas zutiefst Subjektives, was sich in Geste und Farbe sowie Komposition ausdrückt. Ein perfektes fotografisches Bild ist dagegen vor allem erst einmal Technik. Für mich ist die Welt unscharf, verwischt und geheimnisvoll. Meine Wahrnehmung zielt auf ein Aufgeben von Kontrolle. Da meine Wahrnehmung wichtig ist, möchte ich dies darstellen. Es geht mir um Authentizität. Auch um den Wunsch tiefe Innerlichkeit zu vermitteln, was für mich ein tragendes Element der Kunst ist. Dadurch, dass ich etwas real Existierendes abfotografiere und derart weiter bearbeite, wird es zum Unikat und trägt meine persönliche Handschrift.

 

MLH

Also auch hier eine Transformation, durch die Abstraktion eine Veränderung der Wirklichkeit, wie immer sich diese auch definiert, denn jeder erfährt sie anders. Kommen wir zu den Farben. Erfahren durch die Farbgebung ihre Arbeiten nicht auch einen Transformationsprozess?

 

SK

Ja, da haben Sie Recht. 

 

MLH

Nehmen wir beispielsweise die Abbildung des Flurs. Finden wir dort wirklich die Farben blau und grün. Wenn nicht, weshalb haben Sie diese gewählt?

 

SK

Nein, der Flur ist in grau und beige gehalten. Ich habe ganz bewusst die Farben blau und grün gewählt. Beide Farben sind positiv konotiert und stehen für Hoffnung, Harmonie, Sicherheit, Vertrauen und Stabilität. Beide Farben stehen für die Natur, für den Himmel, das Wasser und die sich immer erneuernden Pflanzen. Genau diese Elemente sind notwendig um die Menschen hier vor Ort zu begleiten. Sie sind es ja, die täglich an meinen Arbeiten vorbeikommen und ihre Wirkung erfahren. Natürlich wird die Farbwahl auch durch meinen ästhetischen Anspruch bestimmt.

 

MLH

Wie kommt es zur Wahl des Formats, des Quadrates?

 

SK

Wie Sie beim Atelierrundgang feststellen konnten, ist mir dieses Format sehr wichtig, auch in der Malerei. Es ist für mich die vollkommene Form, ohne Hierarchie.

 

MLH

Das ist eigentlich der Kreis.

 

SK

Ja, schon. Aber die Quadrate hängen im Raum und durch zwei Hängepunkte erfahren Sie ein hohes Maß an Kompaktheit und Stabilität. Es ist dann an mir in dieses Insichruhen Spannung zu geben. Das macht die Arbeit mit diesem Format so interessant.

 

MLH

Weshalb haben die Arbeiten keinen Rahmen?

 

SK

Die Installation zeigt Realitätsfragmente. Ich bilde nie ein Objekt vollständig ab. Das real Existierende hat also eine größere Ausdehnung als meine Fotografie. So sie ist offen, nicht eingeengt durch einen Rahmen und hat das Potential zur Weiterentwicklung, zur Transformation, diese geht immer weiter.

 

MLH

Kommt mit der fortwährenden Transformation auch das Material Plexiglas ins Spiel?

 

SK

Ja, genau. Das Material ermöglicht durch seine Transparenz den Transformationsprozess. Das ist das zugrundeliegende Konzept. Die Arbeit ist prozessual ausgerichtet und lebt davon an verschiedenen Ausstellungsorten gezeigt zu werden. Diese Kontextveränderung ist sehr wichtig. Ich bin während der Ausstellung vor Ort und fotografiere Besucher in Interaktion mit den Werken. Durch die Arbeiten hindurch werden Personen wie auch der jeweilige Ort fotografiert. Und das geht eben mit Plexiglas sehr gut. Auch ermöglich das Material die Aufhängung im Freien. Von Ausstellung zu Ausstellung kommt es zu einer weiteren Dokumentation und fortwährenden Verdichtung des Materials. 

 

MLH

Haben Sie gute Erfahrungen gemacht? Lassen sich Ausstellungsbesucher gerne fotografieren? 

 

SK

Damit gibt es keine Probleme, Persönlichkeitsrechte werden nicht verletzt, da es sich nur um eine schemenhafte Darstellung der fotografierten Personen handelt.

 

MLH

Haben Sie auch hier vor die ausgestellten Arbeiten als Ausgangspunkt für die weitere Bearbeitung zu nehmen und hier einen Prozess in Gang zu bringen.

 

SK

Ja, es ist geplant. Ich werde auch hier in der Ausstellung fotografieren. So kommt es zu einer doppelten Dokumentation dieses besonderen Ortes. Einmal mittels der Architekturfragmente auf den hier präsentierten Arbeiten und im weiteren Prozess durch die Darstellung der Interaktion der Besucher und des Ausstellungsraumes mit der Fotoinstallation.

 

MLH

Da müssten die Verantwortlichen vor Ort sehr interessiert sein, die Fortsetzung Ihres Projektes öffentlich zu präsentieren.

 

SK

Das würde mich sehr freuen.

 

MLH

Es ist schön, dass wir unser Gespräch mit einem Blick in die Zukunft beenden dürfen. Ich bedanke mich sehr für dieses Gespräch.

 

 

Anmerkung: Bezeichnungen, wie Besucher, Betrachter, etc., die Verwendung finden, sind als sprachliche Vereinfachung zu verstehen und beziehen sich selbstverständlich gleichermaßen auf Frauen und Männer.

 

 

Suria Kassimi

Jahrgang 1957

Sie studierte von 1975 bis 1982 an der Hochschule der Bildenden Künste in Berlin und schloss ihr Studium dort als Meisterschülerin von Fred Thieler ab.

Die Künstlerin arbeitet im Bereich Film, Performance, Malerei und Fotografie in Berlin und Düsseldorf sowie seit 2013 auch in Recklinghausen. 

 

Marie-Louise Hirschmüller

Jahrgang 1963

Diplom-Kauffrau und Kunsthistorikerin 

Ehemals Geschäftsführung MKM, Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Duisburg

Seit Januar verantwortlich für das Atelier des Künstlers Anselm Kiefer, Croissy-Beaubourg bei Paris 

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